Unser Leitbild
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Das Werkstatt-Treffen zur Finalisierung des Leitbildes findet am Tag der nächsten Mitgliederversammlung im April 2024 statt und wird danach veröffentlicht.
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Empowerment - am meisten empowert, wo Empowerment nicht draufsteht?
Viele Menschen fühlen sich aufgrund gesellschaftlicher Verhältnisse und Zustände immer wieder ohnmächtig. Seit einigen Jahren gibt es nun eine Konjunktur des „Empowerment“-Begriffs und insbesondere entsprechender Workshops, in denen sich etwa von Rassismus betroffene Menschen über ihre Erfahrungen austauschen und mit Definitionen von Rassismus oder mit der Kolonialgeschichte Deutschlands beschäftigen sollen. In manchen Workshops geht es um die Schaffung von „positiven Räumen“, in anderen um eine „kreative und künstlerische“ Auseinandersetzung.
Laut Wikipedia bezeichnet Empowerment „Strategien und Maßnahmen, die den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung im Leben von Menschen oder Gemeinschaften erhöhen sollen und es ihnen ermöglichen, ihre Interessen (wieder) eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten“. Empowernd ist, was ermächtigt, was also ein Handeln, ein Tun und Lassen ermöglicht, das sonst – aufgrund von subjektiven, aber auch von objektiven und strukturellen Hürden, von Ressourcen- und Machtfaktoren – nicht möglich wäre.
Wissensvermittlung und Gesprächsräume können Sinn stiften und beim Einordnen helfen, und praktische Übungen Handlungssicherheit in übergriffigen und gefährlichen Situationen geben. Doch die Verengung von Empowerment-Angeboten auf diesen Fokus und die Verselbstständigung entsprechender Angebote, für die dann Teilnehmende „gefunden“ werden müssen, sind problematisch. Viele Menschen in geflüchteten Communities sind von diesen Angeboten ermüdet. Ein Workshop empowert nicht gegen Übergriffe auf der Straße. Die Sachinformation zu eigenen Rechten oder allgemeinen Beratungsangeboten hilft weniger gegen Ohnmacht im Asylregime als die Vermittlung und bei Bedarf die Finanzierung kompetenter Aufenthaltsrechtler:innen. Wenn Frauen aufgrund von Care-Work an Deutschkursen nicht teilnehmen können, ist die Organisation einer Kinderbetreuung empowernd, und für Mädchen, die von rassistischen und sexistischen Belästigungen berichten, ein Selbstverteidigungskurs. Als befreiend, erlösend und sehr ermächtigend beschreiben alle, die wir kennen, die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Vollbeschäftigung und das Entkommen aus der Hartz-IV-Bürokratie. All das ist „agency“.
Gerade strukturelle Verhältnisse, Zustände und konkrete alltägliche Realitäten, die ohnmächtig machen, ebenso wie die Möglichkeiten, Menschen in diesen Realitäten konkret und erfahrungsbestimmend zu ermächtigen, sollten - wenn von Empowerment die Rede ist - nicht aus dem Blick geraten.